Endlich Leben in der Grundsatzdebatte
4. September 2007 by
In der Partei hat sie stattgefunden, die Grundsatzdebatte – in der Öffentlichkeit ist sie aber nicht angekommen. Das ist wohl das Fazit, welches wir ziehen müssen aus der medialen Öffentlichkeit, die derzeit den Genossen Steinbück, Platzeck und Steinmeier entgegengebracht wird. Denn anders als derzeit in der Presse dargestellt, hat die SPD in den letzten Monaten in vielen Ortsvereinen und Kreisverbänden, in Bezirken und Landesverbänden debattiert.
Diskussionen finden statt
Selten gab es einen Landesparteitag, wie dem letzten, bei dem so intensiv in den letzten Monaten über die künftige Politik gerungen wurde. Ein Antragsbuch, das einem Roman (zumindest im Umfang) glich, eine Vielzahl an Rednerinnen und Redner, nicht immer die gleichen Gesichter.
Aber eines ist auch richtig: Selten war sich die SPD so unklar darüber, wo sie hinwill. Zumindest scheint ihr es nicht bewusst zu sein, wie dieser Weg in die Zukunft gebaut ist. Wahrscheinlich ist: Steinig.
Keinesfalls werden wir in absehbarer Zeit wieder dahin kommen, wohin wir uns doch meistens wünschen: In den Vier-Parteien-Zustand, oder gar in ein klares Links-Rechts-Schema. Denn dazu hat sich in den letzten Jahren zu viel geändert. Da ist eine Linke, die sich formiert hat und deren Wähler, die zu einem guten Teil unsere waren, wir erst wieder mühsam zurück gewinnen müssen. Da sind Grüne, die sich immer mehr der CDU annähern und für uns nicht mehr als natürlicher Partner zur Verfügung stehen.
Dies alles kann als Bedrohung wahrgenommen werden, aber auch als Chance. Als Bedrohung des Zustandes der Volkspartei – auf Bundesebene sind über 30 Prozent der Wählerstimmen ein Muss, auf Landesebene dürfen wir es uns nicht leisten, unter 25 Prozent zu fallen. Aber auch als Chance, als Partei endlich positiv wahrzunehmen, wie stark wir durch die Breite des Spektrums der Sozialdemokratie sind.
Mit guten Argumenten falsche Schlüsse ziehen
Platzeck und Co. haben natürlich recht, wenn sie schreiben, dass die SPD endlich Mut braucht, ihre Errungenschaften, gerade auch in der Schröder-Zeit, offensiv zu verteidigen. Dies wird zu selten getan. Es ist die SPD, die in Deutschland die Reformen und Veränderungen durchgesetzt hat und immer noch durchsetzt. Und die SPD muss auch die Wählerschichten gewinnen, die nicht täglich Angst um ihren Arbeitsplatz hat. Die SPD hat das Potenzial, die größte Stärke des Landes, die Bildung, zu stärken. In meiner Heimatstadt Reutlingen ist zu spüren, was sozialdemokratische Bildungspolitik heißt. Frühkindliche Erziehung und Ganztagesbildung, kombiniert mit dem Anspruch des lebenslangen Lernens. Von der Ausbildung bis zum Master, alles muss möglich sein, ohne künstliche Hürden, die Konservative gerne haben. Ja, da haben die Autoren recht. Warum dann der Ärger vieler in der Partei?
Weil die Schlüsse zum Teil schlicht falsch sind.
- Nein, ein vorsorgender Sozialstaat ersetzt nicht den Sozialstaat, der denen hilft, die schwach in der Gesellschaft sind. Unser Sozialstaat ist eine wichtige Errungenschaft. Jetzt heißt es ihn zu ergänzen und damit zu stärken. Denn wenn Platzeck und Co. schreiben, dass der alte Sozialstaat erst dann reparierend eingreift, wenn „soziale Schadenfälle wie chronische Krankheit, Bildungsmangel oder langfristige Arbeitslosigkeit schon eingetreten sind“, dann verkennen sie, dass diese Fälle schon da sind und diese nicht durch einen vorsorgenden Sozialstaat aufgefangen werden können. Ehrlicher wäre es, dafür zu stehen, dass für den modernen Sozialstaat beides zusammen gehört: Der nachwachsenden und aktiv im Arbeitsleben stehenden Generation muss der vorsorgende Sozialstaat alle Chancen bieten und sie auf dem Weg dorthin aktiv begleiten. Und denen, die zu schwach sind, die schon keine Chance mehr auf Chance haben, denen gehört das Mitgefühl und die Versorgung des Staates. Kein Sozialdemokrat und keine Sozialdemokratin will, dass die Menschen in der Abhängigkeit des Staates verbleiben.
- Nein, die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit muss gestellt werden. Denn gerade eine SPD, die auch an der Seite derjenigen steht, die durch ihren Einsatz Erfolge erreichen, muss im Auge haben, dass es Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die ohne eigene Leistung großen Reichtum erreicht haben. Durch Vererbung, vom Fiskus nicht erfasste Finanzspekulationen oder durch die Fügung glücklicher Zufälle. Und dann hat es nichts mit Neid oder Gleichmacherei zu tun, wenn eine SPD, die Chancen eröffnen will, von genau diesen einen Beitrag für die Gesellschaft verlangt. Deshalb ist es richtig, Steuern für breite Bevölkerungsschichten zu senken und Firmen, die investieren, zu entlasten. Es ist aber auch genauso richtig, Erbschaften deutlich zu besteuern, große Vermögen etwas stärker zu belasten, ausgeschüttete Gewinne zu registrieren und in die Steuer zu holen, genauso wie Kapitaleinkünfte konsequenter in die Besteuerung zu holen.
- Nein, die SPD darf nicht aufhören, kritisch zu diskutieren. Weder über die Grenzen von gesundem Wachstum, noch über die Frage, ob Ihre Entscheidungen immer in letzter Konsequenz richtig waren. Ich bin ein Unterstützer der Grundlinien der Reformpolitik der letzten Jahre. Aber dies darf nciht darüber hinweg täuschen, dass auf diesem Weg auch Fehler gemacht wurden. Und es wäre falsch, der CDU die Möglichkeit zu geben, diese Fehler zu korrigieren und dann als „wahre Sozialdemokratie“ zu gelten. Wer Fördern und Fordern versprochen hat, und dann das Fördern vernachlässigt, liegt falsch. Wer bei der Einführung des ALG2 den Bedarf von Kindern zu niedrig schätzt, muss korrigieren. Und wer das will, der ist kein „störischer Beharrer“, sondern ein kluger Kopf. Denn gerade wer verändert, macht Fehler. Und muss diese korrigieren. Denn damit zeigt er, dass er führen kann.
Aber vielleicht zeigt die Diskussion, dass die SPD doch gar nicht so falsch liegt. Sondern auf einem guten Weg zu neuer Stärke ist? Ich bin optimistisch. Denn es zeigt sich, dass die SPD die Partei der Mehrheit in diesem Land ist. Die SPD ist eine Partei, die von der Mitte bis nach Links geht. Und die damit deutlich machen kann, dass sie und nicht die CDU die Mitte besetzt. Und dass es links von ihr auf Dauer keine demokratische Partei geben kann.
Wenn dies das Signal von Hamburg sein wird, dann ist allen Streitenden und Diskutierenden zu danken!
Meint
Sebastian Weigle